mein geheimer affenschwanz
wenn ich einen schwanz gehabt hätte, einen schwanz als verlängerung der wirbelsäule, einen schwanz, um damit zu wedeln, wenn ich mich freue euch zu sehen, einen schwanz zum klettern, einen schwanz zum kämpfen...
wenn ich einen schwanz als verlängerung meiner wirbelsäule gehabt hätte, wäre ich glücklich gewesen.
deshalb bin ich auch gentecknikerIn geworden. das ziel meiner arbeit: das menschliche affenschwanzgen zu reaktivieren. schwierig nur rauszufinden, welches gen dieses schwanzgen ist und wie ich es reaktivieren könnte. schwierig auch genug geld zu haben, um mich mit dieser wichtigen frage zu beschäftigen.
nach 23 jahren harter forschungsarbeit ist mir dann der durchbruch gelungen. ich habe das schwanzgen in der menschlichen dna lokalisiert. naja, rausgefunden, wie ich es reaktivieren könnte, habe ich nie. das hätte sicher noch einmal 23 jahre gedauert und ich bin ja auch 20 jahre danach gestorben.
ich hab' leider nie das glück gehabt, dass mir ein affenschwanz gewachsen wäre und so hat es mir die ganze zeit gefehlt - und - zu glauben, dass dir nach dem tod so ein teil wächst, dass kannste vergessen, nach dem tod wächst nichts mehr...
nichts desto trotz hab' ich natürlich eine gehilfin gehabt, die von affenschwänzen genau so fasziniert war wie ich. sie hat nach meinem tod weitergemacht und drei jahre später ist ihr dann auch ein affenschwanz gewachsen. nach einem jahr ist er dann zwanzig centimeter lang gewessen und nach drei jahren zwei meter. ich bin sicher, dass sie mit ihrem schwanz glücklich gewesen ist. nur hat sie angst gehabt, es zu zeigen. sie hat wieder rock getragen und sich ein höheres haus besetzt, neue einrichtungsgegenstände zusammengesucht und sich hanteln gekauft, um ihren schwanz zu trainieren. nur zuhause und im wald hat sie es gewagt ihren schwanz zu benutzen - wenn sie allein gewesen ist. sie hat sich von baumkrone zu baumkrone geschwungen und sich so fortbewegt, ohne dass sie irgendwer gesehen hätte. sie ist glücklich gewesen mit ihrem schwanz, nur hat sie das schweigen darüber traurig gemacht. sie hat richtig angst gehabt, es irgendwem zu zeigen und das hat gründe gehabt - gute gründe:
als sie den selbstversuch gestartet hatte, hatte sie auch einen freund gehabt, dem sie davon erzählt hatte. er hatte gelacht und gesagt, er freue sich schon darauf. aber als er bemerkt hatte, dass es funktioniert, muss er irgendwie angst bekommen haben, sich anzustecken, was ja irgenwie möglich gewesen wäre, weil das schwanzgen auch in ihrem speichel gewesen war. er hatte sich also aus dem staub gemacht. seither hat sie immer angst gehabt, jemand könnte es bemerken.
wenn es da was gibt, das du an dir am meisten liebst, das dich an dir fasziniert, das dich von den anderen unterscheidet und kannst es niemandem zeigen... stell dir das vor. irgendwie beginnst du dann vielleicht die anderen zu hassen.
vielleicht braucht sie ja eine genschwanzselbsthilfegruppe, aber die müsste sie sich erst noch selbst produzieren. nur verstehe ich nicht, was denn an einem schwanz so peinlich sein soll - also an einem katzen- oder affenschwanz. ein sehr erotisches und praktisches körperteil. was du damit anstellen könntest, wenn du einen hättest!
irgendwann muss es raus. und nach drei jahren des schweigens ist es auch ihr zu bunt geworden. es ist einfach passiert. an einem konzi. sie hat getanzt und durst gekriegt. dann hat sie eine freundin gesehen mit einer flasche bier in der hand, zwei meter von ihr entfernt. und dann ist es unter ihrem rock hervorgekommen und hat das fläschchen gepackt und an sich gezogen. und dann hat sie es wieder versteckt. die freundin hat lachen müssen und gefragt, was denn da gewesen sei und sie hat es ihr auf der toilette gezeigt. irgendwie hat es ihr gefallen. sie hat es berührt und gestreichelt. es ist ein schönes gefühl gewesen. sie sind in den wald gegangen und sind dort von baumkrone zu baumkrone... schliesslich sind sie zu dem kleinen hochhäuschen gekommen, wo hoch oben, neben den heizungsrohren ein bettchen hing. von einem kühlen schwanz umwickelt, da oben zwischen den heizungsrohren hängend, streichelnd, küssend...
diese nacht hat alles geändert. den mut es offen zu zeigen hat sie aber trotzdem noch nicht gehabt. sie hat es seither vielen gezeigt. nur die wenigsten sind gleich weggerannt. sie hat es zum einkaufen benutzt und hat beim ausgehen die stempelkissen geklaut. niemand hat sie je dabei erwischt. einige haben auch selbst eines wollen. sie alle haben es versteckt. aber bald darauf hat es parties für schwanzträgerinnen gegeben (und geheime nacktstrände) und bald darauf sind die ersten kinder gekommen und die ersten razzias in den clubs der mutantinnen und mutanten. die religiösen parteien haben ein verbot der selbstmanipulation gefordert. es hat affenschläger gegeben, die versucht haben, die affenschwänze abzuschneiden. hoffentlich werden wir bald akzeptieren, dass es menschen gibt mit affen- oder katzenschwänzen.
text lisalottA giftig